Schlecht drauf sein… Krisen wertschätzen??

Wir sind nicht immer gut drauf. Äussere oder innere oder unbekannte Faktoren lassen uns manchmal die Welt ganz düster sehen. Dann nützt es wenig zu sagen: Aber sieh doch, in welcher Fülle du lebst! Schau doch nur, wie alles da ist, was du brauchst! Sei dankbar für das Potential, das da ist! Nein, in solchen Zeiten kann derartige gut gemeinte Aufforderung sogar ziemlich zynisch ankommen. KeineR ist freiwillig in diesem Tief und würde sie oder er ein taugliches Mittel kennen, sich wieder freier und leichter zu fühlen, dann hätte sie/er es schon angewendet.

Was kann helfen in diesen Phasen?
Erstens einmal in kleinen und vorsichtigen Schritten vorgehen und sehr sehr nett zu sich sein. Wenn das Fenster-Putzen schon 3 Wochen auf der Liste steht und jedes Mal durch die Scheiben schauen den giftigen inneren Vorwurf auslöst: „Und die Fenster sind ja auch noch total dreckig“, dann hast du hier eine grossartige Gelegenheit generös zu sein in der Krise. „Gut, ich erlaube mir jetzt, die Fenster nicht zu putzen.“ ist die adaequate Reaktion. Würdest du deine beste Freundin in Zustand der Düsternis mit banalen Putzarbeiten nerven? Nein, also warum dich selbst? Echte Prioritäten setzen ist gefragt. Es bleiben noch genug andere öde Dinge zu tun, die keinen Aufschub dulden.

Wenn dir was Peinliches – oder deiner Meinung nach – Peinliches passiert, cool reagieren. Der ersten bitteren Selbstverurteilung antworten: Stimmt, ich habe jetzt die Vorrangregel missachtet und wäre fast mit dem roten Auto zusammengestossen. Das war echt ein Fehler. Ich bin zur Zeit nicht sehr achtsam, und ich muss mehr aufpassen. Doch diesen Fehler verzeihe ich mir.
Würdest du deinem besten Freund nicht auch derart tröstend zureden, wenn ihm sowas passiert ist? Oder du denkst dir: Morgen um die gleiche Zeit hab ich das Hoppala schon vergessen, also kann es nicht sooo wichtig sein, wie es gerade scheint. Was ist zur Zeit wirklich wichtig? Sei grosszügig.

Die Krise konstruktiv sehen. Warum nicht? Wenn sie nun schon da ist… Sollen wir ihr dann noch einen Widerstand draufsetzen? Mit dem Finger in der Wunde bohren? Also warum die Dinge nicht so sehen wie….

Negative Gefühle wollen uns etwas mitteilen. Wut, Ärger, Unlust oder Unruhe, die wir eben erfahren, sind ein Signal, ein Indikator dafür, dass die Dinge in irgendeinem Bereich schief laufen. Negative Gefühle sind wie Schmerzen des Geistes. „Aua“ schreit der Geist, „das kann so nicht bleiben, so geht das wirklich nicht! Das ist ganz gegen meine Prinzipien. Schluss damit!“ Manchmal wissen wir, was es ist, manchmal nicht. Manchmal können wir die Dinge ändern, manchmal nicht. Meine Erfahrung ist, dass oft schon das Hinschauen und Bewusstwerden die Verwicklung lockert bzw. auflöst. Erkennen ist ein Wundermittel.
Gleichzeitig kann die Frage nach dem „Warum gehts mir grad so schlecht? Warum bloss, warum, warum?“ auch Krise-Hauptverstärker Nummer 1 sein und uns im Kreis gehen lassen. Wir finden einfach nicht heraus, was uns zuwiderläuft. Dann ist es besser zu warten und sich selbst wie die beste Freundin/den besten Freund zu behandeln. Lass dir Zeit. Das geht vorbei. Du wirst schon sehen, dass die Sache einen Sinn hat. Manchmal kommt das erst im Nachhinein heraus. Jahre danach..

Vielleicht bist du ja hypersensibel* und irgendwas in dir reagiert auf Vulkanausbrüche oder monatelange Wirtschaftskrisenrhetorik. Du bist ein ganz besonderer Mensch und als solcher machst du auch besondere Lebensphasen durch. Solch Erklärung stimmt den angeschlagenen Ego vielleicht positiv. Depression ist angeblich nichts anderes als Narzismus, bloss in die andere Richtung. Das Selbst ist Zentrum der Welt in der Krise. Nichts ist schlimmer als diese Krise. jetzt. bei mir.

Achte in düsteren Zeiten gut darauf, was du an deinen Geist heranlässt. Nachrichten und schwere Filme sind nicht die richtige Geistnahrung. – Du würdest deinem empfindlichen Magen ja auch keinen fetten Schweinsbraten zumuten. Überlege, wen du triffst und wen du besser in dieser empfindlichen Phase nicht treffen solltest.  Ich wünsche dir von Herzen, dass du entscheiden kannst, mit wem du Umgang hast. Leider haben wir da nicht immer die Wahl. Obwohl wir zumeist mehr Freiheiten haben, als wir zugeben wollen. Wenn wir in öden Partnerschaften oder Arbeitsverhältnissen stecken, so sind wir dazu ja auch nicht zwangsverpflichtet. In diesem Fall sollten wir sehen, warum wir weiter dabei bleiben, wo unser (versteckter) Gewinn liegt. Sicheres Einkommen und abendliche Ansprache haben vielleicht mehr Wert für dich, als dir klar ist. Wenn du dir diese Faktoren klar machst, kommst du mehr in die Selbstverantwortung als wenn du dich als Opfer siehst. Meiner Ansicht nach sind die meisten Krisen selbst gestrickt und werden dann oftmals getarnt als Fremdverschulden. „Opfer sucht Zerstörer“ ist eine beliebte Strategie.
Wenn du eben in einer „fremdverschuldeten“ Krise bist, willst du das vielleicht gar nicht hören. Eine derart sensible Aufarbeitung kann vielleicht auch besser warten auf günstigere Zeiten. Sowas braucht wirklich Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen – und Kraft.

Andererseits kann auch falsch verstandene Selbstverantwortung zum Problem werden. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Gedanken unsere Gefühle verursachen und unsere Stimmungen bestimmen. Die Gedanken in eine hilfreiche Richtung (abzu)lenken, ist also durchaus ein erfolgversprechender Ansatz. Aber manchmal ist das innere Kuddelmuddel viel zu gross und haben wir nicht einmal die Chance, unseren Gedanken zuzuhören, geschweige denn, sie zu ändern. (Das ist ja auch in guten Zeiten schwierig.)  Wir haben über manche Dinge einfach keine Kontrolle. Und über das Loslassen schon gar nicht… Was nicht heisst, dass wir das nicht immer wieder versuchen und üben sollten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Eine andere konstruktive Sichtweise ist das Bild von einem Strudel im Strom. Er hat dich hineingezogen und zieht dich nach unten, immer tiefer und tiefer. Je mehr du herumstrampelst und kämpfst, umso mehr hat dich die Kraft im Griff. Wenn du dich dagegen ruhig verhältst, dann zieht es dich direkt nach unten. Ganz unten angekommen, stösst es dich wieder nach oben. Ganz von allein.

Und bis jetzt ist jede Krise auch wieder vergangen und eines Morgens oder nach einem Gespräch schaut die Welt wieder freundlicher aus.  Und du wunderst dich, was du da die ganze Zeit herumgetan hast, so missmutig und bleiern und schwer. Ist ja alles in Ordnung, so wie es ist! So schlimm ist es wirklich nicht!
– Du solltest nicht zu schnell zur Tagesordnung zurückkehren. Vergiss nicht ihre Kraft. Habe Respekt vor deinen Krisen. Sie sind sicher gut für irgendetwas. Auch wenn du es jetzt noch nicht weisst.  Vielleicht sind sie sogar die wichtigsten Wegweiser in deinem Leben.

*Die Frage, ob du hypersensibel bist oder nicht, ist nicht zynisch gemeint. Manche Menschen sind offener als andere, und das ist auch gut so. Ob du eine HSP (hypersensible Person) bist oder nicht, kannst du testen auf http://www.zartbesaitet.net

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