Presencing…

Ich habe das Gespräch mit  Claus Otto Scharmer durch Zufall in der ORF-TVthek gefunden. Der Beitrag ist leider nicht mehr in den Weiten des Web zu finden.

Ich habe nicht alles verstanden, was Herr Scharmer in der Aufzeichnung eines Gesprächs „Im Zeitraum“ im Radio Kulturhaus von 2011 von sich gegeben hat. Aber ein paar Dinge liessen mein Herz höher schlagen.

Seine systemische Analyse der aktuellen globalen Probleme scheint mir stimmig. Es gäbe da die ökologische (ökonomische) Krise, die Krise des sozialen Umgangs miteinander sowie die Krise „Mensch mit sich selbst“. Eine Änderung auf einer Ebene sei nur im Zusammenspiel mit den Änderungen auf den anderen Ebenen möglich. Und das bedeutet u.a.: Wir sollten auch bei uns selbst mit einer neuen Herangehensweise beginnen.

Sein Zugang ist sehr persönlich. Im Interview schildert Scharmer die Erfahrung, wie er als Kind die Zerstörung seines Elternhauses durch Feuer mitansehen musste und dabei ein besonderes Bewusstseinserlebnis hatte. Er hätte einerseits die Zerstörung seines bisherigen Selbst wahrgenommen – mit dem Bauernhaus sei auch sein bisheriges Selbst im Flammen gestanden – und andererseits eine zusätzliche Dimension seines Selbst erkannt: sein Potential, das er in Zukunft in die Welt bringen wolle.

Claus Otto Scharmer ist kein New Age Vertreter, sondern Professor am MIT Insitute in Boston. Der Ökonom und Managementberater …

„beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Personen und Institutionen – in und abseits von Krisen – positiv und kreativ wandeln können. Claus Otto Scharmer hat eine neue und weltweit vielbeachtete Führungsmethode entwickelt, die sowohl den Erfordernissen von Nachhaltigkeit und globaler Verantwortung gerecht wird, als auch das dazu erforderliche praktische Führungswissen bereitstellt.“

2009  erschien sein dazu verfasstes Buch auf Deutsch: „Theorie U – Von der Zukunft her führen“  im Carl Auer Verlag.

Weiter heisst es auf der oben zitierten Website des Radiokulturhauses:

„Sein zentraler Ausgangspunkt dabei ist die Einsicht, dass man die Entwicklung einer Situation und eines Prozesses dadurch beeinflusst, wie man an sie herangeht. Konkret hängt es von der eigenen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit ab. „Von der Zukunft her führen“ bedeutet: Potenziale und Zukunftschancen zu erkennen und im Hinblick auf aktuelle Aufgaben zu erschließen. Eine Vorgangsweise, die Scharmer „Presencing“ nennt – aus „Presence“ (Anwesenheit) und „Sensing“ (spüren). In einem Dreischritt, der Öffnung des Denkens, des Fühlens und des Willens entsteht eine Fertigkeit zur Entwicklung.“

Das gefällt mir: Pre-sencing. Diese Herangehensweise hat mit einer neuen Form der Wahrnehmung und des Spürens zu tun, einer Wahrnehmung von sich selbst und der anderen, und es erschliesst die Quellen der Intuition. Das bedeute nicht wie bisher ein Projekt zu planen und die Idee ensprechend umzusetzen, sondern mit einer Idee in eine Entstehungsphase zu gehen, sie mit anderen zu diskutieren, sie selbst neu zu sehen und die Dinge sich entwickeln zu lassen. Auch sollten die Phänomene von ihren Grenzen her erschlossen werden. Erst in der Sichtung der Grenzen zeigte sich die gesamte Bandbreite des Möglichen. Ein ziemlicher Paradigmenwechsel.

Wenn sich Innovationen wie diese in Wirtschaftskreisen herumsprechen, kann das ja nicht schaden. Das Radio Kulturhaus war jedenfalls voll besetzt, und ich habe im Publikum sogar einen alten Studienkollegen, einen sehr erfolgreichen Unternehmensberater entdeckt, einen dieser fortschrittlichen Jungs…

Spannend, wie der Aktionsforscher Scharmer davon berichtet, dass er in vielen Interviews in Unternehmen und Organisationen höre, dass Menschen sich in verschiedenen Formen der Achtsamkeit üben würden, darüber jedoch nicht mit ihren KollegInnen sprächen. Sie dächten sich damit anders und allein. Scharmer sichtet dagegen in dieser Hinsicht eine globale soziale Bewegung. Allerdings mit dem Paradox, dass ein Wald voller Bäume stünde und jeder Baum dächte, er sei der einzige weit und breit.

Also schau dich mal um. Wo ist der nächste Baum?

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