„Fremd, anders und allein – Hospiz und Palliative Care abseits des Mainstreams“ – eine Nachlese

Am 8.3.14 war ich beim Symposium des Mobilen Hospiz Horn (wie hier bereits im Jänner angekündigt)  und möchte noch ein paar Erinnerungen zusammenfassen, bevor sie in Vergessenheit geraten.

Da es online vom (unabhängigen) Verein des Mobilen Hospiz Horn eine Nachlese gibt, die wunderbarerweise sogar die Vortragsfolien umfasst (ich werde sie bequemerweise für dich direkt verlinken), werde ich bloss ein paar subjektive Eindrücke zusammenschreiben.

Als ehrenamtliche Mitarbeiterin war ich schon morgens bei der Registrierung aktiv und konnte so miterleben, wie die rund 270 BesucherInnen – überwiegend weiblich – nach und nach eintrafen. Die meisten kamen von Hospizgruppen bzw. Palliativstationen aus Niederösterreich, obwohl einige auch von weiter her anreisten, aus Wels oder Salzburg. Besonders erfreulich war der Besuch der vielen SchülerInnen aus diversen (Kranken)Pflegeschulen. Ich hatte den Eindruck, die jungen Leute waren wirklich mit grossem Interesse bis zum Schluss dabei. Dabei war Samstag, der 8.3. (nicht nur Frauentag) auch ein wunderbar schöner Sonnentag!

Kleine Seelenvögel

Der erste Programmpunkt war eine Vorführung von kleinen SchülerInnen einer nahe gelegenen Volksschule. Die  Kinder führten einen Seelenvogeltanz vor und ihren konzentrierten und hingebungsvollen Bewegungen zu folgen,  war wirklich herzbewegend (hier ein paar Fotos). Ich weiss nicht, ob nur ich dazu angeregt wurde, zu denken:  Diese Kinder stehen so am Anfang ihrer Geschichte, wirken so begeisterbar und unbeschwert, irgendwie sind sie Symbol für das Wunder des Leben selbst. Allein ihnen zuzuschauen in ihrer Vielfalt und Buntheit, wie sie sich zu immer neuen Figuren zusammenfanden, sich an den Händen hielten und umarmten, war eine grosse Freude. Und bei all dem diese Sammlung und Ernsthaftigkeit!

Eröffnung

Nach der Eröffnung durch die sympathische VereinsObfrau Roswitha Helwig, begrüsste uns der Bürgermeister der Stadt Horn Jürgen Maier.  Die OrganisatorInnen wurden namentlich vorgestellt und erhielten einen kräftigen Applaus, v.a. Koordinatorin Christine Zeiner, die die Schlüsselstelle im Verein innehat und ihre Rolle wirklich ideal ausfüllt – nicht nur bei der Organisation der Tagung.

Am Vormittag vier Vorträge

  Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer (Wien): „Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige – Einsicht in die Situation gegenwärtiger und ehemaliger Kinder und Jugendlicher in Österreich“ (Vortragsfolien online)

Hättest du gewusst, dass viele Kinder ihre Eltern pflegen? Ein Tabuthema, über das es bis zur vorgestellten Studie in Österreich kaum Daten gab. An schweren (Krebs)Krankheiten leidende Mütter oder auch psychisch kranke Eltern werden von ihren Kindern emotional aber auch mit anderen Hilfestellungen unterstützt. Kein einfaches Erwachsenwerden, doch die Kinder tun vieles und sind v.a. stark belastet von der Angst, ihre Familie zu verlieren.

Für pflegende Kinder und Jugendliche gibt es eine neue grossartige Website: http://www.superhands.at

  Dr. Gertrude Bogyi (Wien): „Trauer bei Kindern und Jugendlichen“ (Vortragsfolien online)

Wie können Kinder den Tod von Angehörigen erfassen?  Ab welchem Alter gibt es welche Vorstellungen und welche Verarbeitungsweisen? Wie unsinnig ist es, Kindern aus falscher Rücksichtnahme zu erzählen, der Opa sei eingeschlafen? – was dazu führen kann, dass Kinder Schlafprobleme entwickeln!  Wie schwierig ist es für Jugendliche, ihre Trauer zu zeigen, und wie schwierig für ihre Familie, sie zu verstehen und zu unterstützen. Alles in allem ein sehr spannender Vortrag, der generell  zeigte, wie sonderbar wir in unserer Gesellschaft mit dem Thema Sterben umgehen. „Gefühlsstarke Erwachsene wären eine grosse Hilfe“ so ein Satz, den ich mir aufgeschrieben habe. Und noch ein paar weitere schöne Zitate:

„Man sollte dem Anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, damit er hineinschlüpfen kann, und nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen“! (Max Frisch)

„Trauer ist der Prozess der Anpassung an die Verluste unseres Lebens.“ (Viorst 1986)

„Trauern ist eine gesunde, lebensnotwendige und kreative Reaktion auf Verlust und Trennungsereignisse. “ (Canacakis 1992)

  Nora Musenbichler (Graz): „Leben und Sterben am Rande der Gesellschaft – Lebensbegleitung bis zuletzt in der Obdachloseneinrichtung winziDorf“ (Vortragsfolien online)

Menschen, die ganz unten gelandet sind, erhalten im Container-winziDorf ein neues Daheim, werden zu Brüdern und nennen ihre BetreuerInnen Mama und Papa. Sie brauchen nichts von ihrer Vergangenheit zu erzählen, dürfen weiter ihren Alkohol trinken und werden akzeptiert, wie sie sind. Allein diese Umstände sind einen tiefen Seufzer Wert:  Dass es so etwas gibt!

Und die Brüder des winziDorfs haben am Grazer Friedhof  ihren eigenen Bereich „gemma ham“ mit schräg gelegten Kreuzen und Grabsteinen, die von den Mitbewohnern gemeinsam gestaltet werden. Eine wirklich schöne Geschichte, von Nora Musenbichler glaubwürdig und authentisch erzählt.

  Mehmet Isik (St. Pölten): „Tod in der Fremde“ (Vortragsfolien online)

Wie schwierig ist die Lage für Menschen, die eigentlich dachten, nur für einige ArbeitsJahre nach Österreich zu kommen und nun alt und krank hier sterben! Welche Möglichkeiten gibt es, ihre Kultur und Rituale zu berücksichtigen in den Spitälern und auf den Friedhöfen? Das Thema war wirklich ein seltener Einblick in eine unbekannte Lebenswelt, die doch so nah ist.
Die Wortmeldung einer – muslimischen – Besucherin bei der abschliessenden Diskussion zeigte darüber hinaus, wie sensibel diese Thematik ist, wie verletzbar die Menschen reagieren, wenn Zusammenhänge vermeintlich missverständlich dargestellt werden. Ich konnte dem Wortwechsel des Referenten und der Diskutantin gar nicht wirklich folgen. Wo war das Problem, was die Klärung? So fremd ist diese Welt.

Die Mittagspause wurde zur Stärkung,  zum Austausch und zur Erholung genutzt. Es war schön, dieses Gesumse an Stimmen und guter Laune zu erleben. Ich sass beim Essen neben Martin Schenk, dessen Artikel in diversen Zeitschriften ich immer sehr gern lese. Eine gute Gelegenheit, mich als „Fan“ zu outen und etwas mehr von den Hintergründen der Armutskonferenz zu erfahren.

Nachmittags Vortrag, Festrede und Podiumsdiskussion

Dipl. Rehapäd. Evelyn Franke (D): „Die Doppelrolle von Menschen mit geistiger Behinderung im palliativen Kontext“ (Vortragsfolien online)

Auch diese Vortragende, eigens aus Magdeburg angereist, kam sehr gut an mit ihrer konkreten und anschaulichen Herangehensweise. Wie können psychisch eingeschränke Personen den Tod wahrnehmen, und wie gehen sie mit Trauer um? Wunderbar, wie Frau Franke ein normales Arztgespräch dekonstruierte, und aufzeigte, wie Fehler mit unverständlichen Begriffen und Bildern vermieden werden könnten. Als ob sie uns eine Fremdsprache lehren würde.

Festrede durch Mag. Martin Schenk (Vortragsfolien online)

Auf den ersten Blick war gar nicht gleich zu erkennen, welchen Zusammenhang Martin Schenks Vortrag mit dem Tagungsthema hatte, denn er sprach kaum über Sterben und Tod. Er sprach über das Leben, auf das wir ungleich zurückschauen, je nachdem… Er sprach über Armut und Ungleichheit. Einkommen und Bildung. Er sprach über den „Geschmack des Vertrauens„. Welch wunderbarer Vortragstitel!

Du solltest dir die Folien anschauen, wo es zum Beispiel heisst:

„Wo wir gestalten können, Anerkennung erfahren und sozialen Ausgleich erleben, dort spielen wir mit,
dort wächst Zukunft.
Doch wie läuft das Spiel zur Zeit?“

Wusstest du von den empirischen Zusammenhängen der ökonomischen Ungleichheit mit sozialen und gesundheitlichen Problemen? Dass in Ländern mit zunehmender Ungleichheit das Vertrauen zu den Mitmenschen abnimmt? Martin sprach davon, wie Einkommen und Geld mit Anerkennung und Respekt verbunden sei und Armut dagegen mit Beschämung. Beschämung sei die beste soziale Waffe der höher Gestellten gegen die unteren Schichten. Das werde ich mir merken.

Wie auch die Geschichte „Was dachte der Briefträger?“, die das „Jig Saw Experiment“ beschreibt.  Ein Experiment, das beweist, wie einfach Kinder Kooperation und Empathie lernen können, sobald die Lehrmethoden verändert werden.
Alles in allem ein besonders wertvoller Blick auf lebensbestimmende Faktoren, die wir auch schon in der Schule hätten lernen sollen..

Zum Abschluss

gab es eine Podiumsdiskussion mit ReferentInnen und Fragen aus dem Publikum, bevor die Moderatoren das Schlusswort sprachen und Obfrau Roswitha Helwig (völlig passend) das letzte Wort haben wollte (und sehr wertschätzend Christine Zeiner zum runden Geburtstag gratulierte!).
Roswitha Helwig meinte, sie hätte an diesem Tag einiges an neuen Perspektiven gewonnen. Und ich muss sagen, damit traf sie auch genau den Punkt für mich.

Ich werde nach diesem Tag vieles mit anderen Augen sehen. Klarer und mit mehr Verständnis.  Zu bestimmten alten Sichtweisen gibt es kein Zurück mehr.
Ist das nicht genau das, was eine Veranstaltung bewirken sollte?

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