Ein nicht abgeschickter Brief…

 

 

 

 

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An den Gemeinderat…

Offener Brief – Bevor der letzte Baum gefallen ist          

Sehr geehrte Herrn,

Ich bin aufs Land gezogen, um der Natur nahe zu sein. Doch immer öfter muß ich erkennen, dass ich eher der Zerstörung denn der Bewahrung von Natur nahe bin.

Warum wurden in den letzten Wochen in unserer Kellergasse weite Teile des Baum- und Sträucherbe­wuchses gerodet? Welchen Sinn machte es, das kleine Wäldchen nahezu völlig zu entfernen? Warum wurden die schönen alten Äpfel- und Kirschbäume gefällt? Die vormals reizvoll bewachsenen Ränder des beliebten Spazier­wegs zeigen nun ein Bild der Verwüstung. Da wurde nicht lange herumgedacht, ob nicht vielleicht einige der alten Bäume stehen gelassen werden, ob nicht vielleicht mit Bedacht ausgedünnt werden könnte. Da wurde alles dem Erdboden gleichgemacht. Ein Bild der Trostlosigkeit bleibt zurück. Keine entspannten Spaziergänge mehr, sondern Wut über die Sinnlosigkeit dieser Zerstörung.

Wer hat diese Entscheidung zu verantworten? Was denken sich die Verantwortlichen dabei? Vermutlich nicht viel. Genau das ist das Tragische daran.

Ich habe kürzlich einen Vortrag von Vandana Shiva gehört. Vandana Shiva bekam den alternativen Nobelpreis u.a. für die scharfsichtige Analyse des Umgangs der Menschen mit der Umwelt. Die Argumentation: Männer sähen in der Natur bloß tote Materie, die man sich untertan machen, ja bekämpfen müsse. Da wird im Namen des Fort­schritts mit viel Einsatz von Technologie und Energie Saatgut unfruchtbar gemacht, Boden vergiftet und Artenviel­falt zerstört. Der traditionelle Zugang der Frauen, der tendenziell den schonenden Umgang mit lebendiger Umwelt, das Fördern und Bewahren von Leben und Natur zum Inhalt hat, würde mehr und mehr verschwinden. Zum Nachteil unseres Planeten.

Letzten Sommer ging ein Aufschrei durch die Ortschaft, nachdem drei Männer spontan die stolze und gesunde Linde am Dorfplatz gefällt hatten. Die empörten Proteste kamen nicht nur, aber hauptsächlich von Frauen. Das Argument für den Kahlschlag lautete: Der Baum sei ein unnützer „Mistmacher“ gewesen! Ein wahrhaft sonder­bares Naturverständnis. Nach den zahlreichen Diskussionen über diese Vorgangsweise hätte ich erwartet, dass die Sensibilität in dieser Hinsicht gestiegen sei.

Schon zuvor waren zwei riesige, hundertjährige Linden der Straßenneugestaltung zum Opfer gefallen. Damals machte man sich noch die Mühe und führte als Begründung ein forstwirtschaftliches Gutachten an. Bald gibt es keinen Baum mehr auf Gemeindeboden, den Sie fällen könnten.

Das Trinkwasser der Gemeinde muß aufbereitet werden, weil es ansonst mit Keimen verseucht wäre. Die moderne landwirtschaftliche Nutzung der letzten Jahrzehnte basiert (nicht nur bei uns) auf Technologie, auf Düngung und Einsatz von lebenszerstörenden Pestiziden. Die Flächen werden zunehmend für den Anbau von Biotreibstoff verwendet. Nahrungsmittel werden verbrannt, um den Energiehunger der Moderne zu stillen, während gleichzeitig eine Milliarde Menschen weltweit an Hunger leidet.

In unserem Gemeinderat sitzen ausschließlich Männer, nicht eine einzige Frau hat es in dieses Gremium geschafft. In den Entscheidungsgremien der Landwirtschaft, in der Landespolitik, ja weltweit bestimmen Männer die Politik. Zufall? Oder Ursache für den Krieg mit der Natur auf allen Ebenen?

Angesichts der aktuellen globalen Katastrophen wird die Notwendigkeit eines raschen Umdenkens im Umgang mit Ökologie sichtbar. Auch der Mensch ist Natur und auf eine gesunde Umwelt existentiell angewiesen.

Sehr geehrte Herrn, ich fordere Sie auf, im Kleinen mit dem Umdenken zu beginnen. Bewahren Sie Natur, statt sie zu zerstören. Machen Sie die politischen Gremien für Frauen und neue Sichtweisen attraktiver. Schaffen Sie gerechte demokratische Strukturen, indem Sie die Interessen aller Gemeindebürgerinnen und –bürger verfolgen. Gestalten Sie Politik ökologieverträglich und lebensfreundlich statt lebensfeindlich. Denken Sie neu!

Mit höflichen Grüssen

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Nachdem ich mir so die Wut herausgeschrieben hatte, rief ich den Bürgermeister an und sagte ihm ganz sachlich, dass und warum ich voller Ärger sei…
Ja, er wäre auch schon von anderen gerügt worden. Das ganze sei ein Missverständnis. Der Bauer hätte bloß den Auftrag gehabt, den Weg für größere Fahrzeuge freizumachen und hätte zuviel des Guten getan. Es täte ihm leid. Nur sei es leider jetzt zu spät…

Nun gut. Was ist daraus zu lernen? Vielleicht nächstes Mal SOFORT zu handeln? Hätte ich schon letzte Woche angerufen, würden einige der alten Bäume vielleicht noch stehen. Umgekehrt war ich lange Zeit so voller Wut, dass ich kaum einen geraden Satz herausgebracht hätte. Letztendlich bin ich froh, überhaupt gehandelt zu haben. Und mit dem Brief meine Gedanken geordnet zu haben, sodass mir etwas klarer ist, was mich so in Wut versetzt hat.

Auch war es richtig, den Brief nicht abzuschicken. Ich bin zwar inhaltlich genau der Ansicht wie beschrieben, glaube aber nicht, Verhalten auf diese Art ändern zu können. Der Gemeinderat hätte mein Anliegen nicht verstanden, und es wäre bloss ein leidlicher Konflikt daraus geworden, der mein Leben schwieriger gemacht hätte.

Die schönen alten Äpfel- und Kirschbäume kann ich nur noch betrauern. Es werden vermutlich nicht die letzten sein. Gelernt hab ich auch wieder, wie wir uns in Dramen verwickeln mit einer Inbrunst, die kaum auszuhalten ist. Ich leide zur Zeit wirklich an einer enormen TechnikMännerAblehnung. Enorm. Die Ereignisse in Japan haben dazu beigetragen. Hoffentlich nicht nur bei mir. Und hoffentlich nimmt die Gegenwehr  konstruktive Formen an. Damit der Umgang mit Natur nicht mehr weiter so aussieht:

 

 

 

 

 

 

Vindana Shiva ist eine grossartige Frau. Das Porträt in Wikipedia wird ihr bei weitem nicht gerecht. Also schau dich nach anderen Quellen um. Vielleicht gibt es ja folgenden Link noch eine Weile:
http://typischich.at/home/business/628381/Kurzbio_Vandana-Shiva

bzw.

http://www.youtube.com/watch?v=vi1FTCzDSck

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