Gelassenheit – Radiokolleg der Woche

Ich mag Ö1 und falls du einem Freund, einer Freundin etwas Sinnvolles zu Weihnachten schenken willst, dann schenke ihm oder ihr eine Ö1 Mitgliedschaft. Da kommt dann das Programmheft monatlich ins Haus und Freund/Freundin kann sich  die Zeiten schon freihalten zum hinhören. Oder zum nachhören, was eine Woche nachher noch möglich ist.

So auch das Radiokolleg dieser Woche zum Thema “ Gelassenheit“  Zwischen Selbstbeherrschung und Gleichgültigkeit – Gestaltung: Peter Zimmermann

Sehr hörenswert. Verwundert hat mich, wieviele historische europäische Bezüge es zur Lebenskunst Gelassenheit gibt und wie es bereits Anfang des 19. Jahrhunderts Bedenken gab, dass mit dem neu erstarkendem Wirtschaftssystem die Faulheit oder besser die Musze verloren zu gehen droht.  Oder dass es eine griechische Schule gab, die das Zweifeln zur Methode erhob zum Erlernen von Gelassenheit. Und es ist einfach schön, Hartmut Rosa zuzuhören oder Wilhelm Schmid, denn auch die heutigen Philosophen haben einiges Spannendes zu sagen. … Ja, Ö1 weitet den Horizont.

Hier ist der  Text von http://oe1.orf.at/programm/357449 widergegeben, um ihn – inklusive Literaturliste – zu doppeln, zu retten, zu sichern oder was auch immer:

 Um zu erklären, was Zen bedeutet, hat ein Priester eines zen-buddhistischen Tempel in Kyoto folgendes Beispiel gebracht:

„Etwas Rotes in rotem Licht betrachtet, sieht man nicht. Etwas Rotes in blauem Licht betrachtet, erscheint violett. Das bedeutet: auch wenn wir vorhaben, die Dinge im selben Licht zu betrachten, betrachten wir sie doch stets nur im Licht unserer eigenen Brille. So schauen alle Dinge gleich aus – und gewiss anders, als sie wirklich sind. Wenn man aber versucht, die Brille abzunehmen, und den anderen anders zu sehen, dann gelingt es vielleicht, ihn zu verstehen.“

Was soll das denn eigentlich bedeuten: gelassen sein? Schottet sich der gelassene Mensch von der Welt ab? Ist ihm alles, was um ihn herum geschieht, egal? Oder ist er einfach jemand, der in der Lage ist, sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen, Ruhe und Nerven zu bewahren, wo andere nervös und fahrig sind?

Gelassenheit ist jedenfalls keine Tugend, sie ist auch niemandem angeboren, sie ist eine Einstellung zur Welt. Eine mit Tradition, könnte man sagen, denn von der Antike (Stoiker) über das Mittelalter (Meister Eckhart), den Buddhismus bis in unsere unmittelbare Gegenwart steht diese Haltung zur Debatte. Seit der Moderne, also seit dem späten 19. Jahrhundert, seit Beginn des nervösen Zeitalters (Richard Krafft-Ebing), gilt Gelassenheit einerseits als erstrebenswert im Sinne von innerer Ruhe, andererseits aber auch als abzulehnende Haltung, weil sie dem Vitalismus und dem Glauben an die Grenzenlosigkeit widerspricht.

Gelassenheit: eine ambivalente Haltung zur Welt, die jede/n von uns ständig beschäftigt – weil wir gelassen sein wollen und uns zugleich davor fürchten, gelassen den Anschluss zu verpassen.

 

 Verwendete Literatur:

Thomas Strässle: „Gelassenheit. Über eine andere Haltung zur Welt“, Hanser Verlag 2013

Hartmut Rosa: „Beschleunigung und Entfremdung“, Suhrkamp Verlag 2013

Sighard Neckel, Greta Wagner (Hg.): „Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft“, Suhrkamp Verlah 2013

Wolfgang Martynkewicz: „Das Zeitalter der Erschöpfung. Die Überforderung des Menschen durch die Moderne“, Aufbau Verlag 2013

Livia Klingl: „Die Kunst vollkommener Gelassenheit“, Metroverlag 2012

Robert Pfaller: „Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur“, Suhrkamp Verlag 2012

Robert Pfaller: „Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie“, S. Fischer Verlag 2011

Robert Pfaller: „Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere“, S. Fischer Verlag 2012

Wilhelm Schmid: „Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst“, Suhrkamp Verlag 2008

Wilhelm Schmid: „Gelassenheit. Was uns hilft, wenn wir älter werden“, Insel Verlag 2014 (erscheint im März)

Wilhelm Schmid: „Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist“, Insel Verlag 2013

 

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