Seelische Trümmer wegschaffen

Ich bin Karin sehr sehr dankbar, dass sie mir dieses Buch geborgt hat. Sie meinte, das Buch hätte ihr so viel weiter geholfen, dass sie es ständig weiterempfehlen müsse.

Ja, da kann ich mich anschliessen. Das Buch von Bettina Alberti ist ein regelrechter „Augenöffner“. Ich habe es in ein paar Tagen verschlungen, und mir ist vieles klarer geworden. Warum ich so bin, wie ich bin. Warum wir so sind, wie wir sind.

Ich hatte ja immer schon die These, dass es nicht egal sein kann, in der Nachfolge eines Krieges geboren worden zu sein. Nach  einer Phase, in der es nur Opfer und Täter gegeben hat und keinerlei Unbeteiligte. Keine Unbeteiligten an einem unvorstellbaren Grauen. Viele Jahre lang – erst ab 30 – habe ich nachgeholt, was mir Familie, Schule und Gesellschaft bisher in scheinbar harmloser Weise verheimlicht hatten. So habe ich Bücher gelesen von Faschismus, Judenverfolgung, von Flucht und Krieg, von Mord und Diktatur, von Dummheit und Grausamkeit, von Menschen im KZ und Menschen, die angeblich nichts gewusst haben davon. Was für unvorstellbare Biografien und unglaubliche Faktenschilderungen! Ich habe viel geweint beim Lesen und hatte das Gefühl, mit meinem Hinschauen den verfolgten Menschen einen Teil ihrer Würde wiederzugeben. Ich dachte, etwas wieder gutzumachen, indem ich mich berühren lasse von dieser Unmenschlichkeit, diesem Wahnsinn, diesem Schrecken. Das Ignorieren und Schweigen darüber, das Sich Abputzen  mit  „geht mich nichts an“, „ist schon lange vorbei“, „hat nichts mit uns zu tun“ war nicht mein Zugang, und ich bin sehr froh darüber.

Das Buch bestätigt den wichtigen Umgang mit diesem Teil Vergangenheit. Und es macht noch viel mehr klar. Nämlich, dass, was ich bisher für Familienbesonderheiten hielt, System hat und von vielen meiner AltersgenossInnen geteilt wird,  ja von einer ganzen Generation!

So schön, dass es ein Buch gibt, das solch ein differenziertes Bewusstwerden und  Verstehen ermöglicht. Wie das entlastet und zufrieden macht! Fast zufrieden…
Unsere Eltern haben die Trümmer der zerstörten Häuser weggeräumt und den materiellen Wiederaufbau geschafft. Die nächste Generation ist mit dem Aufräumen der seelischen Trümmer beschäftigt. So lautet der Tenor, und so ist es kein Zufall, dass ich in Schule und Medien vor den 80er Jahren nichts von der Faschismuszeit gehört habe.

Wusstest du, dass es so etwas wie „transgenerationale Traumatisierung“ gibt? Dass Eltern ihre eigenen Verletzungen auf die Kinder weiter übertragen, dass Tabus auf das Erleben der Kinder wirken, dass Erziehungsregeln des nationalsozialistischen Systems auch noch bei den Kindern der Wirtschaftswundergeneration angewendet wurden? In letzter Zeit habe ich öfter mit Gleichaltrigen gesprochen, die als Kleinkinder in Kellern oder Zimmern eingesperrt wurden, um ihren Willen zu brechen. Ich kenne das Schweigen und Wegschauen bei unliebsamen Erfahrungen aus eigener (Familien)Erfahrung, und „nur nicht auffallen“ oder „Eigenlob stinkt“ waren Leitsätze meiner Erziehung. Wie weit dabei Schuld und Scham einer Tätergeneration eine Rolle gespielt haben, das nicht auffallen dürfen, nicht anders sein sollen, nicht stolz sein dürfen, wurde mir erst beim Lesen des Buches klar.

Am besten liest du das Buch selbst. Das letzte Kapitel zeigt Wege aus der Situation, die sehr hilfreich und brauchbar sind: Zuerst müssen wir die Zusammenhänge verstehen, dann können wir Trauerarbeit leisten, und in weiterer Folge können wir uns von vielen belastenden Glaubenssätzen und lebensbegleitenden, irrationalen Stimmungen und Ängsten trennen. Zu unserem und unserer Kinder Vorteil. Hier der Link zu dem Buch.

Grosses Danke an die Autorin Bettina Alberti,

die in einer sehr spannenden Praxisgemainschaft in Lübeck arbeitet. Auch das scheint mir vorbildhaft, diese Art des Zusammenarbeitens… aber das ist eine neue Geschichte….

http://www.koerpertherapie-luebeck.de

Nachtrag:  Habe später auch das Buch von Sabine Bode: „Die vergessene Generation. Die Kriegskinder sprechen ihr Schweigen“ gelesen. Das kann ich ebenso empfehlen und es passt sehr gut zum ersten Buch. Danach versteht eineR auch die Eltern/Grosseltern um einiges besser.

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